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Paralympische Spiele in Peking: Schweiz mit hohen Zielen

Neben Théo Gmür, der vor vier Jahren in Pyeongchang drei Goldmedaillen eroberte, haben weitere Mitglieder des Schweizer Teams Chancen auf eine Medaille an den Paralympischen Spielen in Peking, die am 4. März 2022 beginnen.

2018 sorgte der Walliser Théo Gmür für eine Sensation, als er bei den Paralympics im südkoreanischen Pyeongchang nicht weniger als drei Goldmedaillen im Ski Alpin (Abfahrt, Super-G und Riesenslalom) gewann. Der heute 25-Jährige spricht ohne falsche Bescheidenheit und mit dem ihm eigenen Humor über die bevorstehenden Spiele in Peking: «Ich fahre nicht nach China, um Peking-Ente zu essen», meint er schmunzelnd. «Nach dem, was ich in Korea erreicht habe, wäre es gelogen zu sagen, dass ich bloss einen Platz unter den Top Ten anstrebe. Nein, ganz klar, ich habe grosse Ambitionen.» Nach einer schweren Knieverletzung im Winter 2019 holte er im Januar bei der Weltmeisterschaft im norwegischen Lillehammer zwei Bronzemedaillen und bewies damit, dass er wieder ganz oben dabei ist. «Das Resultat war für mich eine Erleichterung. Heute fahre ich wieder befreit Ski, ohne an mein Knie zu denken. Allerdings ist das Feld in den letzten Jahren dichter geworden. Vor vier Jahren waren wir drei oder vier, die um die vordersten Plätze kämpften. In Peking wird es mindestens acht ernsthafte Anwärter auf das Podest geben, darunter auch Russen und Franzosen.»

Théo Gmür © Goran Basic/Swiss Paralympic

Théo Gmür ist seit dem dritten Lebensjahr wegen eines Hirnödems halbseitig gelähmt. Das hat ihn jedoch nie davon abgehalten, sich mit gesunden Konkurrenten zu messen, Sport war schliesslich Familiensache: «Als kleiner Junge wollte ich auf der Piste unbedingt mit meinem älteren Bruder Thomas mithalten. Der Unterschied zwischen Gesunden und mir hat mich immer angespornt, ich betrachtete ihn als Spielraum für Verbesserungen. Durch die Tiefschläge, die ich erlitten habe, habe ich mentale Stärke aufgebaut.»

Nach seinem Exploit in Pyeongchang stand Théo Gmür plötzlich im Rampenlicht. Der Rummel um ihn war enorm, und er wurde für zahlreiche Fernsehauftritte angefragt. «Als ich nach Korea reiste, war ich ein Nobody, und als ich zurückkam, interessierten sich alle für mich. Damit begann für mich ein neues Leben: Mein Status hat sich geändert. Ich habe überall Kontakte geknüpft, weit über die Schweiz hinaus. Die Anerkennung, die ich erfahren habe, hat mir die Augen dafür geöffnet, wie glücklich ich mich schätzen kann, auf diesem Niveau Ski zu fahren. Das gilt bis heute. Ich bin sehr dankbar für alles, was ich erleben durfte.» Was war der schönste Moment in all dem Trubel? «Zweifellos meine Heimkehr in mein Dorf Haute-Nendaz. In der Menge waren alle Menschen, die mir geholfen und mich seit der Kindheit auf meinem Weg begleitet haben: meine Tagesmutter, meine Schul- und Skilehrer, mein Physiotherapeut. «Es war sehr bewegend.» Der Goldmedaillengewinner von Südkorea hat sein Studium an der Sporthochschule Magglingen ein Jahr unterbrochen, um sich optimal auf diese Paralympics vorbereiten zu können.

Théo Gmür © Goran Basic/Swiss Paralympic
Théo Gmür © Goran Basic/Swiss Paralympic

 

Die Schweiz wird mit rund 15 Athletinnen und Athleten nach China reisen, darunter ein fünfköpfiges Ski-Alpin-Team. Der 36-jährige Grégory Chambaz, der früher das Walliser U16-Team trainierte, ist seit vier Jahren Headcoach des Teams. Er hat den beruflichen Wechsel nie bereut: «Ich nehme die Mitglieder unseres Teams nicht über ihre Einschränkungen wahr. Es sind Sportlerinnen und Sportler wie alle anderen. Es braucht für jede und jeden massgeschneiderte Arbeit zusammen mit Ärzten und Biomechanikern, um sie auf dem Weg an die Spitze zu begleiten. Das ist spannend», erklärt er.

Auch das Mixed-Curling-Team, das bei den letzten Weltmeisterschaften in Finnland die Silbermedaille gewann, hat in Peking gute Chancen auf einen Platz auf dem Podest. Die 59-jährige Walliserin Françoise Jaquerot ist die einzige Frau unter vier Männern und führt das Team auch gleich als Skip. Sie wählt die Taktik, sie ist der kreative Kopf: «Curling ist ein Strategiespiel wie Schach – ein anderes Hobby von mir», verrät sie. 

L'équipe de curling © WCF/Alina Pavlyuchik
© WCF/Alina Pavlyuchik

 

Die Mutter von drei erwachsenen Kindern (20, 23 und 24 Jahre) ist seit jeher eine begeisterte Wintersportlerin: «Ich liebe die Kälte und das Eis.»  In ihrer Jugend war sie eine erfolgreiche Eiskunstläuferin. Im Alter von 20 Jahren erkrankte sie an einer schweren Meningitis, die ihr Rückenmark angriff. Seither ist sie auf den Rollstuhl angewiesen. Dies hielt sie jedoch nicht davon ab, weiterhin Sport zu treiben. 1988 gewann sie im Alter von 25 Jahren bei den Paralympics in Innsbruck zwei Goldmedaillen im Skifahren. Zum Curling fand sie erst viel später, vor sechs Jahren, mit dem Traum im Hinterkopf, wieder an Olympischen Spielen teilzunehmen. «Es war eine persönliche Herausforderung, der ich mich gestellt habe. Ich denke, dass ich mein Bestes gegeben habe. Wenn ich auf dem Eis bin, vergesse ich alles um mich herum, das tut mir gut.» Das Schweizer Team besteht aus den besten Curlerinnen und Curlern des Landes und trifft sich durchschnittlich alle zwei Wochen in Brig zum Training.

Françoise Jaquerot © Tobias Lackner
Françoise Jaquerot © Tobias Lackner

 

Die 28-jährige Romy Tschopp wird als erste Schweizer Snowboarderin an Paralympischen Spielen teilnehmen. Nachdem sie an der Para-Snowsports-WM in Lillehammer zwei Bronzemedaillen holte, hat sie gute Aussichten auf einen Podestplatz.  Die Baslerin kam mit einem offenen Rücken (Spina bifida) zur Welt, einer Fehlbildung der Wirbelsäule, die sich während der ersten Schwangerschaftswochen entwickelt, und sitzt deshalb seit ihrer Kindheit im Rollstuhl. Sie kann zwar aufrecht gehen, aber «wie ein Pinguin», meint sie lächelnd. 

Romy Tschopp © Goran Basic/Swiss Paralympic
Romy Tschopp © Goran Basic/Swiss Paralympic

 

Ihre Einschränkungen haben sie nie davon abgehalten, mit Gesunden Sport zu treiben, insbesondere mit ihren Geschwistern. Dank speziellen Schuhen kann sie sich aufrecht auf dem Brett halten. Eindrücke davon, wie sie die Pisten herunterflitzt, gibt es auf ihrem Instagramaccount. «Snowboarden gibt mir ein Gefühl der Freiheit und der Unabhängigkeit zurück. Ich möchte mich nicht auf das konzentrieren, was mir fehlt, sondern auf das, was ich habe und was ich tun kann», lautet ihr positives Lebensmotto.

Romy Tschopp © Goran Basic/Swiss Paralympic
Romy Tschopp © Goran Basic/Swiss Paralympic

 

Der Bündner Luca Tavasci, der sich als einziger Schweizer Langläufer für Peking qualifiziert hat, war bereits vor vier Jahren in Pyeongchang dabei und hat ebenfalls gute Medaillenchancen. Obschon ihm eine Covid-Erkrankung zu Beginn der Saison einen Strich durch den Trainingsplan machte, erreichte er im 20km-Lauf an der WM in Lillehammer den vielversprechenden 12. Rang. Luca, der mit einer Missbildung der linken Hand geboren wurde, stand im Alter von 12 Jahren das erste Mal auf den Langlaufskiern, nicht weil es ihm besonders Spass machte, sondern um Gewicht zu verlieren. Zwölf Kilo nahm er in der ersten Saison ab. Dann packte es ihn. Der Bauingenieur arbeitet heute im 70%-Pensum in St.Moritz, wo er direkt vor der Tür auf den Loipen des Engadins trainieren kann. 

Luca Tavasci © Goran Basic/Swiss Paralympic
Luca Tavasci © Goran Basic/Swiss Paralympic

 

Wie im vergangenen Monat zu sehen war, werden es keine gewöhnlichen Spiele werden. Die Athletinnen und Athleten werden in einer Blase abseits der Welt leben, und die Wettkämpfe werden ohne Publikum stattfinden. Doch Théo Gmür will sich nicht beklagen, er bleibt positiv: «Mit diesen Coronagames werden wir etwas Einzigartiges erleben, das unvergessen bleibt. Heute kommt es mir ein bisschen so vor, als würde ich zum Mond aufbrechen.»

 

Coverbild: Schweizer Para-Snowboard-Team in Lillehammer, © Goran Basic/Swiss Paralympic