Patrizia Danzi

Eine Frau, die hinschaut, zuhört und anpackt

Porträt von Patricia Danzi, Chefin der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit. Sie war zwei Jahre alt, als im Februar 1971 das Frauenstimm- und wahlrecht auf Bundesebene eingeführt wurde. «Ich war zu jung, um dieses Ereignis zu begreifen, aber für meine Grossmutter war es eine echte Befreiung. Von da an zählte auch ihre Stimme.»

Patricia Danzi, seit Mai 2020 Chefin der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), erinnert sich an die Befreiung ihrer Grossmutter, die stolz darauf war, eine Meinung zu haben, die sie äussern konnte und die zählte. Sie erinnert sich auch an ihren Grossvater, der anfänglich versuchte, seiner Frau zu erklären, wie sie abstimmen sollte. Ohne Erfolg. «Er merkte rasch, dass es nur Zeitverschwendung war! Zumal auch meine Mutter, die damals 23 Jahre alt und Lehrerin war, die Befreiungsbewegung, die im Mai 1968 begonnen hatte, verfolgte.

Patriza Danzi

Starke und engagierte Frauen

Patricia Danzi bewegt sich seit ihrer Kindheit in einer Kultur, die von starken weiblichen Vorbildern geprägt ist. Dazu gehören ihre Grossmutter aus der Innerschweiz ebenso wie der Frauenrat in der nigerianischen Stadt, aus der ihr Vater stammt.

Das südliche Nigeria ist bekannt für seine starke Frauentradition. Die Frauen konnten dort vor meiner Grossmutter in der Schweiz abstimmen.

. Die feministische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie, aber auch die neue Generaldirektorin der WTO, Ngozi Okonjo-Iweala, stammen aus dieser Region. «Die Frauen üben dort durch ihren Rat reale Macht aus. Ihre Anliegen werden zuerst intern diskutiert und danach mit den Männern verhandelt. Sie haben eine solide Kultur der Partizipation und der Verteidigung ihrer Stellung und ihrer Werte geschaffen», sagt Patricia Danzi, die vor rund fünfzehn Jahren selber in diesem Frauenrat mitwirkte und heute aus der Ferne Ehrenmitglied ist. 

Gerade in Bezug auf die Bedeutung dieser Teilhabe erinnert sie sich an das erste Stimmcouvert, das sie in der Schweiz erhielt. Darin lag neben dem Stimmzettel ein Brief der Gemeinde, in dem sie über ihre Rechte und Pflichten als Volljährige – damals mit 20 Jahren – informiert wurde. «Ich kann mich nicht mehr an die Abstimmungsvorlage erinnern, aber ich erinnere mich, dass ich das Gefühl hatte, ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu sein. Es war ein wichtiges Ritual für mich. Ich hatte immer meine Grossmutter und ihren ersten Stimmzettel vor Augen.»

Eine Familie, eine Karriere und eine gute Organisation

In der Familie, die sie nachher selber gegründet hat, stellt sie fest, dass vor allem die Zeit zeigen wird, wie sich die Gleichstellungsfragen auf ihre beiden Söhne, die nun junge Erwachsene sind, auswirken werden. «Wir bringen den Kindern bei, dass Mädchen das Gleiche können wie Jungen, dass es keinen Unterschied gibt. Das ist sehr wichtig. Leider ändert sich das mit 20 oder 30 Jahren. Junge Frauen denken anders über das Kinderkriegen als junge Männer. Wenn Frauen eine Familie gründen wollen, haben Kinder Auswirkungen auf ihre Karriere, zumindest für ein paar Jahre.» Patricia Danzi hat es selber erlebt: «Mit Familie und Arbeit hatte ich 150-Prozent-Tage. Ich hatte das Gefühl, dass ich überall perfekt sein musste, und den Anspruch, mich ja nicht zu beklagen. Ich musste die Situation, die ich selber gewählt hatte, akzeptieren. Viele berufstätige Frauen setzten sich selber enorm unter Druck!»

Patrizia Danzi
©Embassy of Switzerland in Bosnia and Herzegovina

 

Die Chefin der DEZA ist überzeugt, dass es möglich ist, Karriere und Familie unter einen Hut zu bringen, wenn zwei Dinge erfüllt sind: Die Frauen müssen lernen, sich nicht selber unter Druck zu setzen. Es muss nicht immer alles zu 100 Prozent perfekt sein, und vor allem muss sich die Gesellschaft anders organisieren. «Die Covid-19-Krise ist in dieser Hinsicht eine Chance, die wir nicht verpassen sollten. Sie bietet mehr Flexibilität und kann uns vom Druck befreien, überall und zu einer bestimmten Zeit präsent sein zu wollen. Frauen sind Organisationstalente. Wir müssen also flexiblere Räume schaffen, die es ihnen ermöglichen, sich selber zu organisieren und ihre Karriere nach ihrem Rhythmus zu gestalten, wenn sie dies wünschen. Das heisst auch, ihren Tagesablauf und denjenigen ihrer Familie, ihrer Partnerin oder ihres Partners und ihrer Kinder einzubeziehen. «Für mich stellt auch die Entwicklung von Informatiktools, die mobiles Arbeiten ermöglichen, eine Revolution dar. Vorbei der Stress mit Druckerproblemen am Ende eines Arbeitstages kurz vor Schulschluss!»

Die Erste ...

Dennoch hat Patricia Danzi ihr Frausein nicht als Karrierenachteil empfunden. Im Gegenteil, im Feld hat eine humanitäre Helferin oder eine Verhandlungsführerin oft einen leichteren Zugang zur Bevölkerung, zu Frauen, Familien, Gefangenen und sogar zu Militärangehörigen, die im Allgemeinen gegenüber Frauen weniger aggressiv sind, gelten sie doch in zahlreichen Kulturen als Mutterfigur. «Ich hatte auch Glück», erzählt sie. «Als ich mich für Feldeinsätze und für Stellen als Teamleiterin bewarb, waren Frauen gesucht. Als farbige Frau fiel ich sehr rasch auf. Ich hatte also einen doppelten Vorteil.» Ein Vorteil, aber auch eine grosse Verantwortung, welche mit der Rolle als Erster einhergeht.

Die erste Frau und zudem die erste farbige Frau zu sein, die diese oder jene Stelle bekleidet, hat mich nicht belastet. Ich spürte und ich spüre aber auch heute noch die Freude und die Erwartungen, die solche Positionen bei meinen Kolleginnen, vor allem meinen farbigen Kolleginnen, auslösen. Ich nehme meine Aufgabe sehr ernst, und wenn ich anderen den Weg ebnen kann, dann ist es ein Erfolg. Ich freue mich auf den Moment, in dem meine Situation normal und kein Thema mehr sein wird!

Patricia Danzi ist seit Mai 2020 die erste Frau an der Spitze der DEZA. Sie freut sich, wenn wieder Feldbesuche möglich sein werden. Durch die Pandemie sowie die Übernahme ihrer neuen Aufgaben und die Reorganisation der DEZA aufgrund der neuen Strategie der internationalen Zusammenarbeit 2021–2024 sind die konkreten Projekte etwas in den Hintergrund gerückt. «Am meisten habe ich von den Leuten im Feld gelernt. Ich habe aussergewöhnliche Frauen getroffen. Keine Opfer, sondern kämpferische Frauen, die sich mit einer unglaublichen Innovationskraft für den Frieden einsetzen. Die Frauen, die am Rand der Kampfhandlungen stehen, sind oft sehr pragmatisch. Sie sind sich der Absurdität der an den Ressourcen zehrenden Konflikte bewusst. Was für das Überleben aller zählt, ist in erster Linie das Management der Viehbestände.» Dieser Pragmatismus und das Engagement der Frauen für den Frieden zeigen sich unter anderem in den von der DEZA unterstützten Mikrokreditprojekten. «Geschäftsfrauen sind sehr stark. Wenn sie Zugang zu einer Starthilfe erhalten, ist ihr Entwicklungspotenzial beeindruckend, zumal sie dadurch Unabhängigkeit erlangen. Der Anreiz geht für sie weit über die wirtschaftliche Entwicklung hinaus», erklärt Patricia Danzi. Die Entwicklungshilfe war tatsächlich lange den Männern vorbehalten und hat deren traditionelle und patriarchalische Macht zementiert. Aber dies hat sich in den letzten Jahren geändert, nicht zuletzt dank gezielter Bemühungen in den genderspezifischen Netzwerken. Dieser Ansatz wird auch von der DEZA verfolgt. Patricia Danzi bestätigt dies:

Heute sind die Frauen in fast allen Entwicklungsprogrammen vertreten, und ohne sie würde alles langsamer gehen.

Patrizia Danzi
©Embassy of Switzerland in Bosnia and Herzegovina

... aber nicht die Letzte

Seit 1971 sind die Frauen mit ihren Anliegen auf dem Vormarsch. Es gibt noch viel zu tun auf diesem Weg, der von den Suffragetten geebnet wurde und von Frauen wie Patricia Danzi fortgeführt wird, Frauen, die hinschauen, zuhören und anpacken. Und manchmal auch hohe Sprünge machen: Als Patricia Danzi Leichtathletik auf olympischem Niveau praktizierte, entschied sie sich für den Siebenkampf, weil der Zehnkampf den Männern vorbehalten war. Der Stabhochsprung galt lange als körperlich zu anstrengend für Frauen. Doch im Training übte sie auch Stabhochsprung. Weil sie es wollte und weil sie die nötige Kraft und Entschlossenheit besass. Und weil für sie die Messlatte nie hoch genug gesetzt werden kann.