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Schweizer Know-how für Videogames

Die Schweiz als Herstellerin von Videogames? Auf den ersten Blick würde man hier eher an Japan oder die USA denken. Aber die Schweizer Szene erlebt gerade einen Riesenboom. Sie ist zwar noch jung, aber sie ist im rasanten Aufbau begriffen und kann ihre Produkte auch exportieren. Aus bescheidenen Anfängen hat sich die Schweizer Branche in knapp einem Jahrzehnt zu einer richtigen Industrie entwickelt, die sich an renommierten internationalen Fachmessen etabliert hat.

An der Game Developers Conference (GDC) in San Francisco, an der sich seit fast dreissig Jahren alle Marktakteure treffen, ist die Schweiz regelmässig präsent und gehört zu den prämierten Nationen. Sie punktet auch regelmässig an der E3 in Los Angeles oder an der Gamescom in Köln. Gleichzeitig werden in der Schweiz immer mehr Konferenzen und Festivals organisiert, wie z. B. die Ludicious in Zürich oder die Numerik Games in Yverdon-les-Bains.

Pro Helvetia als Katalysatorin

Wie kam dieser Aufschwung zustande? Wichtig für die Entstehung einer Schweizer Szene für die Entwicklung von Videospielen war zweifellos die Initiative der Pro Helvetia. 2010 startete die Stiftung zur Förderung der Schweizer Kunst und Kultur ihr erstes Förderprogramm für Computerspiele, das Beiträge an innovative Projekte in diesem Bereich leistete. Angesichts der Vielfalt der Akteure mit ihrem grossen Know-how in Programmierung, Game Design, visuelle Gestaltung und Virtual Reality (VR) lancierte Pro Helvetia 2013 ein zweites Programm, mit dem die Schweizer Szene konkret unterstützt und die Türen zu internationalen Fachmessen geöffnet werden sollten. Das Ziel war klar: Förderung der Vernetzung mit der internationalen Branche und Integration der Schweiz in diesen hoch kompetitiven Weltmarkt.

Seit 2010 führt Pro Helvetia Förderprogramme durch, um das Schaffen der Schweizer Computerspielszene zu unterstützen und ihr den Zugang zu internationalen Messen zu erleichtern. © Swissnex San Francisco

Das zweite Förderprogramm führte zur Entstehung eines Labels – Swissgames – und des Branchenverbands Swiss Game Developers Association (SGDA). Der Verband der Schweizer Spieleentwicklerinnen und ‑entwickler wurde 2012 gegründet und zählt heute über 140 Mitglieder, darunter etwa siebzig Unternehmen, die sich auf Game Design spezialisiert haben. Der Schweizer Markt umfasst heute über sechzig Unternehmen, die sich teilweise oder ganz auf die Entwicklung von Games konzentrieren. Aber die Branche ist in der Schweiz noch wenig etabliert, im Gegensatz zu anderen Kunstbereichen, die seit langem sehr gut organisiert sind und über lokale und regionale Institutionen und eigene Finanzierungsmechanismen und Vermittler verfügen.

Die Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) war die erste Fachhochschule, die einen Bachelor und später einen Master in Game Design einführte und damit mehrere Erfolgsgeschichten ermöglichte. Die Hochschule für Kunst und Design in Genf (HEAD) und die Kunsthochschule Lausanne (ECAL) zogen nach. Seither hat sich die Schweizer Videospielbranche nach und nach professionalisiert und eine eigene Ästhetik entwickelt: sehr ausgefeilte, relativ kurze Produktionen, die aber sehr designorientiert sind, mit dem Schwerpunkt auf dem spielerischen Aspekt. Sie hat sich auch auf eine einfache Spieldynamik spezialisiert und bietet eine gepflegte und ungewöhnliche visuelle Gestaltung. Diese Kreativität wird an Festivals regelmässig belohnt, wo häufig ein oder mehrere Schweizer Spiele Preise gewinnen, so die kooperativen Spiele «Dreii» (Etter Studio, 2013) und «Deru – The Art of Cooperation» (INK KIT Studios, in Vorbereitung). Mehrere Studios (Apelab, Kenzan Studios, Somniacs, Artanim) haben sich dabei einen Namen gemacht. Andere stehen kurz vor dem Durchbruch. Nachfolgend ein Überblick über die neue Schweizer Welle im Videospieldesign.

Die Game Developers Conference (GDC) in San Francisco ist seit fast 30 Jahren das wichtigste Branchentreffen. Die Schweiz hat dort mehrere Preise geholt. © Swissnex San Francisco
Die Game Developers Conference (GDC) in San Francisco ist seit fast 30 Jahren das wichtigste Branchentreffen. Die Schweiz hat dort mehrere Preise geholt. © Swissnex San Francisco

OZWE Games: Pioniere der Virtual Reality

Dieses Juwel entstand 2008 im Labor des Instituts für Digital Humanities der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL). OZWE Games ist ein kleines Studio von Weltruf, das eines der beliebtesten VR-Games entwickelt hat. «Anshar Wars 2» wird vom Branchengiganten Oculus Rift, der heute zu Facebook gehört, in sechs Sprachen produziert.

Die Erfolgsstory vom Genfer See begann 2013. Damals entwickelte das Lausanner Startup eine VR-Version des 1996 lancierten Computerspiels «Escape Velocity». Die Produzenten der VR-Brille Oculus Rift sahen zufällig dieses Spiel und kontaktierten OZWE Games, um ihnen eine Zusammenarbeit anzubieten.

Daraus entstand das erste Produkt der neuen Kooperation, «Anshar War», das gleichzeitig mit der VR-Brille von Samsung Gear auf den Weltmarkt geworfen wurde. Nach zwei Monaten stand es schon an der Spitze der Verkaufslisten im Oculus-Store. Ein Jahr später wurde «Anshar War 2» ebenso erfolgreich lanciert. Was war der Schlüssel zum Erfolg? Ein VR-Spiel mit einem ausgefeilten Design und gepflegter Grafik, das für Mobiltelefone und Multiplayer-Umgebungen optimiert ist. Mit andern Worten: OZWE Games lancierte die Ära der sozialen VR.

Lausanne, September 2017: Erstmals in der Geschichte nimmt ein Bundesrat (Guy Parmelin) an der offiziellen Lancierung eines Schweizer Computerspiels teil. © Denis Rouget
Lausanne, September 2017: Erstmals in der Geschichte nimmt ein Bundesrat (Guy Parmelin) an der offiziellen Lancierung eines Schweizer Computerspiels teil. © Denis Rouget

Giants Software: die Zürcher Sensation

Der Zürcher Firma Giants Software, einem Team aus Absolventen der ZHdK und der ETH Zürich, gelang mit dem Spiel «Farming Simulator» ein Überraschungserfolg. Wer innerhalb der Game-Community am Potenzial dieses Spiels zweifelte, lag falsch. Denn seit es auf dem Markt ist, wurden über 15 Millionen Kopien verkauft, und es wurde in 16 Sprachen übersetzt. Heute gehört der «Landwirtschafts-Simulator» zu den Überfliegern der europäischen Game-Industrie. 

In knapp einem Jahrzehnt hat sich das Schweizer Computerspielschaffen zu einer echten Industrie entwickelt, die sich auf den renommierten internationalen Fachmessen erfolgreich positioniert hat. © Swissnex San Francisco
In knapp einem Jahrzehnt hat sich das Schweizer Computerspielschaffen zu einer echten Industrie entwickelt, die sich auf den renommierten internationalen Fachmessen erfolgreich positioniert hat. © Swissnex San Francisco

Urban Games: Verkaufsrenner Raumplanung

Hier geht es um ein Schweizer Simulationsspiel, das typisch schweizerisches Know-how nutzt: die Bahn. 2014 lancierte das Schaffhauser Studio Urban Games «Train Fever», eine grosse virtuelle Landkarte mit mehreren Städten und Fabriken, auf der die Spielerin oder der Spieler Bahnhöfe errichten muss, um den Transport von Passagieren und Gütern zu erleichtern. Ziel ist es, die Wirtschaft der Region zu fördern, und natürlich wird der Aufschwung von immer neuen Herausforderungen begleitet. Um dieses Spiel realisieren zu können, sammelte Urban Games auf Crowdfunding-Plattformen fast 70’000 Franken. Das war sehr viel weniger als die 300’000 Franken, die erforderlich gewesen wären. Aber der Hype, nachdem die erste Version herausgekommen war, tat den Rest. Urban Games ist mittlerweile aus der Szene nicht mehr wegzudenken. Das Studio hat Anfang 2017 eine verbesserte Version seines Erfolgsprodukts lanciert: «Transport Fever». Das Konzept bleibt dasselbe, aber das Spektrum an Fortbewegungsmitteln wurde vervielfacht. Mit 66’000 verkauften Exemplaren in der ersten Woche hofft das Studio, die Marke von 200’000 Exemplaren zu erreichen.