Bild von einem Satelliten

Eroberung des Weltalls: Schweizerinnen mit dem Kopf in den Sternen

Die Frauen interessieren sich nicht erst seit dem Commitment der Raumfahrtbehörden, ihre Astronautenteams zu diversifizieren, für das Weltall. Drei Schweizerinnen liefern den Beweis dafür. Drei Frauen mit beiden Füssen auf der Erde und dem Kopf in den Sternen erzählen von ihrer beruflichen Karriere.

«Die Staaten müssen sich über die Nutzung des Weltraums einigen.»

Natália Archinard war zwar noch nie im Weltall, aber sie hat es durch die Diplomatie zu ihrem beruflichen Schwerpunkt gemacht. Als stellvertretende Chefin der Sektion Wissenschaft, Verkehr und Weltraum des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) leitet sie die Schweizer Delegation beim Ausschuss der Vereinten Nationen für die friedliche Nutzung des Weltraums (COPUOS). Sie vertritt unser Land bei den multilateralen Verhandlungen dieses Gremiums, das für die Förderung der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit in der Raumfahrt zuständig ist, aber auch für Lösungen im Zusammenhang mit den vielen neuen Akteuren im All und den gewaltigen strategischen Herausforderungen. Natália Archinard präsidierte die 58. Sitzung des wissenschaftlich-technischen Unterausschusses des COPUOS, die am 30. April 2021 endete. Einige der Punkte auf der Tagesordnung: Weltraumschrott, Übernutzung bestimmter Umlaufbahnen, Ausbeutung der Ressourcen des Weltalls.

Natalia Archinard © Joëlle Neuenschwander

«Die Anzahl der 2020 in Umlauf gebrachten Satelliten hat sich im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt», sagt Natália Archinard. «Private Unternehmen wie SpaceX oder OneWeb planen, Tausende oder sogar Zehntausende von Satelliten in Erdumlaufbahnen zu bringen. Sie haben von ihren nationalen Behörden bereits die entsprechenden Genehmigungen erhalten. Aber können die Umlaufbahnen, namentlich die erdnahen, so viele Satelliten aufnehmen? Besteht ohne Verkehrsregeln nicht die Gefahr von Unfällen und Störungen? Die Staaten müssen sich über die Nutzung des Weltraums einigen und ihre Aktivitäten koordinieren, zum Beispiel durch gemeinsame Verkehrsregeln und Standards. Nur so können Unfälle vermieden und die internationale Sicherheit gewährleistet werden. Ein Weltraummanöver, das fälschlicherweise als Angriff interpretiert wird, könnte durchaus zu einem Konflikt führen. Dies hätte für alle, auch für die Schweiz, nachteilige Folgen.»

Die Schweiz kann keine Satelliten ins All schicken. Aber sie hat als einer der wichtigsten Beitragszahler der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) auch etwas zu sagen. Dies und die erzielten Fortschritte stimmen positiv. Als Natália Archinard 2007 zum ersten Mal im COPUOS war, waren nur drei Länder durch Frauen vertreten. Heute sind es fast ein Drittel.

«Bereits als Kind fühlte ich mich mit dem Universum verbunden.»

Ihr Arbeitsalltag gleicht einem Wettlauf mit der Zeit. Seit dem Entscheid der Europäischen Weltraumorganisation, das Startup ClearSpace mit einem völlig neuen Projekt zu beauftragen, ist im Leben von Muriel Richard-Noca alles in Bewegung. Das von ihr mitbegründete Unternehmen soll eine Technologie zur Reinigung des Weltalls entwickeln. Die Herausforderung ist gewaltig. Die Zahl der Trümmerteile in den Erdumlaufbahnen nimmt zu und damit auch das Kollisionsrisiko.

Muriel Richard-Noca
Muriel Richard-Noca, Mitbegründerin des Start-ups ClearSpace © Anne-Laure Lechat 

 

Die zündende Idee hatte Muriel Richard-Noca, als sie 2009 an der ETH Lausanne am ersten 100-prozentigen Schweizer Satelliten, Swisscube, arbeitete, der in eine Umlaufbahn in 700 Kilometern Höhe befördert wurde. An der gleichen Stelle kollidierten einige Monate zuvor ein US-amerikanischer und ein russischer Satellit. Beide zerfielen in über 2000 Teile. «Swisscube wurde in dieses Trümmerfeld geschossen», erinnert sie sich. «Um den Satelliten eines Tages wieder zu bergen, haben wir ein entsprechendes Forschungsprogramm gestartet.» Als die ESA vor drei Jahren eine Ausschreibung machte, hatte das Team von Muriel Richard-Noca bereits mehrere Prototypen entwickelt und erhielt vor Giganten wie Airbus und Thalès den Zuschlag. Das Timing zwischen der Unterzeichnung des Vertrags im November 2020 und dem für 2025 geplanten Start des Reinigungssatelliten sei sehr eng, bestätigt die Raumfahrtingenieurin, die bei der NASA arbeitete, bevor sie an die ETH Lausanne kam, und die seit Kurzem ein Unternehmen führt. «Ich muss vieles von Grund auf lernen, denn bisher habe ich nur in akademischen Einrichtungen gearbeitet», gibt sie zu. Es ist aber auch eine aussergewöhnliche Erfahrung, «ein Unternehmen zu gründen und einen Markt von Null auf aufzubauen». Sie betritt damit Neuland.

Der ClearSpace-Satellit, der sich noch in der Konstruktionsphase befindet, muss in der Lage sein, sich einem Trümmerteil zu nähern und sich mit der gleichen Geschwindigkeit (28’000 km/h) fortzubewegen, bevor er es mit einem mechanischen Greifarm einfangen kann. Die technische Herausforderung besteht darin, dass das zu entsorgende Objekt keine Struktur aufweist, an der es gepackt werden kann. Zudem dreht es sich um sich selbst.

Mit dem ClearSpace-Satelliten werden zwei Ziele verfolgt: Eingefangene Trümmerteile sollen zerstört werden, indem sie in die Atmosphäre zurückgebracht werden, wo beide durch Reibung zerfallen. Zudem soll der Satellit als «Abschleppwagen im All» dienen und einen kommerziellen Reparaturservice anbieten, der vom Boden aus nicht möglich ist. Das sind aufregende Aussichten für eine Frau, die seit ihrer Kindheit in die Sterne schaut.

«Das Weltall beflügelt unsere Fantasie»

Aude Pugin führt ein Unternehmen mit mehr als 400 Mitarbeitenden (davon 350 in Aigle, VD), das die neue europäische Trägerrakete Ariane 6 ausrüsten wird. Ihre Firma stellt die Schutzhauben und Aufhängevorrichtungen der Hilfsraketen her. Eine heikle Operation, denn diese müssen sich lösen, damit die Trägerrakete abheben kann. «Das muss absolut perfekt funktionieren. Wenn sie sich nicht lösen, haben wir ein ernsthaftes Problem», sagt die Waadtländerin. Aber der Aufwand lohnt sich. In einem so innovativen Umfeld zu arbeiten, ist extrem stimulierend. «Umso mehr als sich junge Menschen und immer mehr Frauen davon angesprochen fühlen. In unseren Werkhallen arbeiten auch Frauen, insbesondere an den Satellitenanlagen.»

Aude Pugin, CEO of APCO Technologies © Chantal Dervey
Aude Pugin, CEO von APCO Technologies © Chantal Dervey

 

In der Familie Pugin war bereits Vater André vom Weltraumfieber infiziert. Er gründete das Unternehmen APCO Technologies und baute den Raumfahrtbereich auf. Seine Tochter war nicht von Anfang an dabei. Die ausgebildete Anwältin trat vor rund zehn Jahren in das Unternehmen ein, bevor sie es 2017 übernahm. «Ich hatte das Privileg, Zeit zum Lernen zu haben», sagt die vielseitige Unternehmerin, die der Waadtländer Industrie- und Handelskammer vorsteht und in der Eidgenössischen Kommission für Weltraumfragen (EKWF) sitzt. Sie führt uns durch die Anlage mit ihren weissen und äusserst sauberen Werkhallen. Hier werden die Satellitenbauelemente hergestellt, in denen die elektronischen und optischen Geräte untergebracht werden. Es handelt sich um komplexe Aluminium- oder Carbonkonstruktionen, die leicht und gleichzeitig extrem widerstandsfähig sind. Denn der Kilopreis für die Beförderung von Fracht ins All ist teuer, und die Erschütterungen beim Start einer Rakete sind enorm. Hinzu kommen starke Temperaturschwankungen: von extremer Sonneneinstrahlung bis zum eisig kalten Vakuum im Weltall.

APCO Technologies ist an einer Vielzahl von Projekten der Europäischen Weltraumorganisation beteiligt: Ariane, ExoMars, Galileo-Satelliten. Wir erinnern uns an die Raumsonde Rosetta und ihren kleinen Roboter Philae, der auf dem Kometen «Tschuri» gelandet war. «Wir haben damals geholfen, die Masse eines von der Universität Bern entwickelten Instruments zu reduzieren», erzählt sie. Die Idee, einen Ausrüstungsgegenstand zu bauen, der von einer Sonde getragen wird, die auf einem Kometen landen wird, um so unglaubliche Fragen wie den Ursprung des Lebens im Sonnensystem zu beantworten, ist faszinierend.

APCO Technologies mit Sitz in der Schweiz hat auch eine Niederlassung auf der europäischen Weltraumbasis in Kourou (Französisch-Guayana), wo Aude Pugin einem Raketenstart beiwohnte. Das war 2018. Eine bleibende Erinnerung: «Was mich am meisten beeindruckt hatte und was ich überhaupt nicht erwartet hätte, waren das Knistergeräusch und die starke körperliche Vibration aufgrund der freigesetzten Energie. Es waren sehr starke emotionale und körperliche Empfindungen.»

Sind Sie neugierig, mehr über die Schweiz als Weltraumnation zu erfahren? Sehen Sie sich das Video an!