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Schweizer Trachten – historische Zeugnisse

Schweizer Trachten sind Symbole jahrhundertealter Tradition und spiegeln mit ihrer Fülle die geografische und gesellschaftliche Vielfalt der Schweiz sowie die vielen Kontakte mit den Nachbarländern wider.

Über Jahrhunderte hinweg hoben sich unter anderem Bauern, Winzer, Köche und Vertreter der Obrigkeit durch ihre Kleidung von anderen ab. Gleich wie der Akzent die Herkunft verriet, erkannten die Menschen in der Schweiz an der Kleidung, aus welcher Region eine Person stammte. In den streng protestantischen Gegenden war die Kleidung eher schlicht und bescheiden, während es in den katholischen Kantonen unter dem Einfluss der kirchlichen Zeremonien eine Vorliebe für aufwendigere Kleidung gab.

 

 

 

Tracht, Mädchen aus St. Gallen (Fürstenland). Fotograf Wehrli A.-G. Verlag, ca. 1904–1924. 
© Landesmuseum, LM-171016.37

 

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Mode und Alltag

Die ursprünglichen Schweizer Trachten waren Arbeitskleider, auf die spezifischen Bedürfnisse eines Berufs ausgerichtet, Embleme einer Zunft. Heute erinnert der Begriff der Tracht vor allem an die Kleidung der Landbevölkerung, und zwar ohne Unterschied zwischen Werktags-, Sonntags- oder Festtagskleidung. Die Männer und Frauen auf dem Land stellten ihre Kleidung häufig selber her, mit Stoff aus Leinen, Hanf oder Wolle aus eigener Produktion. 

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Bauer und Bäuerin in Unterwaldner Sonntagstracht. Trachtenbild von David Alois Schmid (1791–1861). © Landesmuseum, LM-29216

Einfluss der Nachbarländer

Die Tracht spiegelt die Bräuche und Lebensart der Vorfahren wider, die immer auch der Mode unserer Nachbarn folgten. Die Bauernsöhne, die in ganz Europa Kriegsdienst leisteten, brachten neue Kleider zurück. Im Kanton Neuenburg zum Beispiel erinnert der Dreispitz, den manche Leute heute noch tragen, daran, dass Neuenburg bis 1848 ein preussisches Fürstentum war und der Adel gerne auf dem Lande lebte. Und der hübsche Strohhut, den die Neuenburgerinnen im Sommer trugen, war Ende des 18. Jahrhunderts der letzte Schrei in Versailles, wo sich die Hofdamen gerne als «Schäferinnen» kleideten.

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Eine Frau mit breitem Strohhut arbeitet auf einem Feld, 1943. © Landesmuseum, LM-141050.8

 
In der Zentralschweiz zeigt sich in der Glarner Tracht der Einfluss der Lombardei, jenseits des Gotthards: Die schönen Mailänder Stoffe waren bei den Frauen sehr beliebt und wurden unter anderem als Fichu (Schultertuch) getragen. Das «Burgunderhemd» wiederum, ein weit geschnittenes blaues Leinenhemd, eroberte rasch das ganze Mittelland. Dabei handelte es sich ursprünglich um einen Teil der Arbeitskleidung der französischen Kutscher und Kaufleute, die zu Handelszwecken in die Schweiz kamen. An dem locker sitzenden und strapazierfähigen Kleidungsstück fanden sogar die Innerschweizer Bauern Gefallen, auch weil es weniger schmutzanfällig als die weissen Hirtenhemden war. Auffällig an den meisten Walliser Trachten sind die aufwendig gearbeiteten Hüte mit Bandgarnituren, die auf das 18. Jahrhundert zurückgehen und vermutlich von einer Pariser Mode jener Zeit inspiriert waren. Im Jahr 1890 benötigten spezialisierte Modistinnen zweieinhalb Tage, um den kunstvollen Kopfschmuck anzufertigen, für den bis zu 70 Meter Band verarbeitet werden! Damit verdienten sie 2 Franken, und die Bauern pflegten zu sagen, dass die Anschaffung und Pflege dieses modischen Schnick-Schnacks so viel kosteten wie eine Kuh.

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Frasco, Verzascatal - Junges Paar in Tessiner Tracht, 1934. © Landesmuseum, LM-79762.13

Trachtenvielfalt 

Überall, selbst in den entlegensten Tälern, trugen die Koketterie der Frauen und der immerwährende Wunsch, den Damen der besser gestellten Klassen zu gleichen, zur Entstehung einer Vielzahl von Trachten bei. Zwischen 1788 und 1800 schuf der Luzerner Maler Joseph Reinhardt 140 Porträts von Menschen in Tracht. Schliesslich waren die Trachtenträgerinnen und -träger selbst von der enormen Vielfalt der Modelle überfordert. Schlimmer noch: Das traditionelle Kulturgut wurde mehr und mehr für kommerzielle oder Werbezwecke genutzt, indem zum Beispiel Kellnerinnen billige Trachtenkopien trugen. Viele echte Bäuerinnen hörten auf, Tracht zu tragen, weil sie sich ihrer Tradition beraubt fühlten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren die Trachten fast aus dem Alltagsleben verschwunden.

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Trachten des Kantons Basel, einschliesslich Dreispitzhut. Porträt von Joseph Reinhardt, Basel; Birmann & Huber (1812–1823) © Landesmuseum, LM-36133

Erneuerung und Tradition

Das Tragen von Trachten als Symbol jahrhundertealter Tradition, aber auch der Verbundenheit zum Vaterland, erlebte – kaum überraschend – während des Ersten Weltkriegs einen neuen Aufschwung, als die drohende Kriegsgefahr zu einer Rückbesinnung auf patriotische Werte führte. Eine führende Rolle spielten bei dieser Erneuerung der Kanton Waadt, und vor allem die Region Vevey-Montreux, wo sich einige der alten Bräuche fast unverändert erhalten haben. Einen wichtigen Anteil daran hat die Fête des Vignerons, die sich bei jeder Ausgabe aktiv mit dem Trachtenwesen auseinandersetzt. Auf Initiative der Philanthropin und Arztgattin Mary Widmer-Curtat wurde 1916 in Saubelin bei Lausanne der erste Schweizer Trachtenverein (Association pour le Costume Vaudois) gegründet. Zehn Jahre später erfolgte in Luzern die Gründung der Schweizerischen Trachtenvereinigung, die sich «die Erhaltung, Pflege und Erneuerung der Volkstrachten, des Volkstanzes, der Volksmusik und des Schweizer Brauchtums» zum Ziel gesetzt hat. Die Schweizerische Trachtenvereinigung (STV) umfasst heute über 15’000 Mitglieder, die in 650 Gruppen organisiert sind. Viele Menschen, die mit ihrer Liebe zum schönen Tuch die Schweizer Geschichte weiterleben lassen.

 

Dieser Artikel von Jean-Blaise Besançon erschien ursprünglich im Januar 2014 in der Westschweizer Zeitschrift «L’Illustré».