Slalom

Schweizer Glück im Stangenwald

Der Slalom war lange Zeit die Sorgendisziplin des Schweizer Skisports. Dank den Wallisern Ramon Zenhäusern und Daniel Yule ist die Durststrecke nun zu Ende. Wir stellen die zwei Ausnahmesportler vor, die ihr Können nicht nur auf den Latten, sondern auch im Wirtschaftsstudium unter Beweis gestellt haben.

Die beiden Walliser führen ein Slalomteam an, das heute unter Experten als eines der besten der Welt gilt. Der 26-jährige Daniel Yule aus dem Val Ferret in der Nähe des Tunnels des Grossen Sankt Bernhard gewann im Januar sowohl in Kitzbühel und Adelboden als auch in Madonna di Campiglio, wo er bereits in der vergangenen Saison triumphiert hatte. Mit vier Siegen in drei Weltcups ist er der erfolgreichste Schweizer Slalomfahrer aller Zeiten. Der 27-jährige Ramon Zenhäusern aus Visp im Oberwallis hat mit seinen 2,02 Metern zwar eher die Statur eines Baskettballspielers. Trotzdem wurde er in Zagreb Zweiter und verpasste das Podest mehrere Male nur knapp. Letzten Winter holte er bereits Silber in Olympia und Gold in Granjska Gora. Die beiden Walliser sind die Aushängeschilder einer Generation Gold, die noch weitere Talente vorzuweisen hat. Damit hat sich der Slalom vom langjährigen Sorgenkind des Schweizer Skisports hinter dem Riesenslalom und der Abfahrt zur Vorzeigedisziplin gemausert.
Patrice Morisod, ehemaliger Trainer des Herrenteams und Berater von Radio Télévision Suisse, sieht «sechs oder sieben Schweizer, die mit der Weltspitze mithalten können. Auch wenn die Resultate nicht sofort stimmten, setzte der Verband jahrelang auf dieselben Trainer für die vielversprechende neue Generation. Heute ist das Team gereift, und die Jungs stacheln sich bei jedem Training gegenseitig an.»
 

Slalom Skipiste

Rivalen, aber auch Freunde

Dieser Meinung ist auch Ramon Zenhäusern, den wir im Januar nach einem Exhibition-Slalom in Crans-Montana getroffen haben. «Es ist dem Verband gelungen, den Zusammenhalt im Team zu bewahren.» Daniel Yule ergänzt: «Wir gehören zu einer Generation, die den Wettstreit schon immer gekannt hat und von ihm angespornt wird.»
Die beiden Walliser sind seit ihrer Kindheit Rivalen. Auch wenn sie sich heute auf höchstem Niveau messen, hat das ihrer Beziehung keinen Abbruch getan. «Wir kennen uns seit fast 20 Jahren und sind immer noch gute Freunde», erzählt Zenhäusern. «Wenn der eine erfolgreich ist, so stachelt das den anderen an.» Das Gleiche sagte Yule vor Kurzem im Blick: «Neben der Piste gehen wir sehr kameradschaftlich miteinander um, haben aber privat keinen Kontakt. Es fuchst mich zwar, wenn Ramon in Zagreb Zweiter wird und ich nur 27., aber inzwischen habe ich mich ja revanchiert.»
Didier Plaschy, seit gut zwölf Jahren Trainer von Ramon Zenhäusern und Sportdirektor von Ski Valais, hat grosse Hochachtung vor den beiden Ausnahmesportlern, die neben dem Skizirkus einen Bachelor in Wirtschaftswissenschaften geschafft haben. «Sie sind intelligent, pragmatisch und sehr gut organisiert. Sie überlassen nichts dem Zufall. Daniel verzichtet während der Saison auf Alkohol und Fondue, und Ramon ist vor einem Rennen immer um 21 Uhr im Bett.»
Auf den Ski haben sie jedoch sehr unterschiedliche Qualitäten, sagt Didier Plaschy. «Daniel ist vor allem in Steilhängen und Wänden stark, wo er kein Tempo generieren muss. Ramon dagegen kann dank der Hebelwirkung seiner langen Beine in flachen Passagen selber Speed erzeugen.» Fragt man Zenhäusern, was ihm am Slalom gefällt, kommt die Antwort blitzschnell: «Die Mischung aus Tempo, Flexibilität, Kraft und Koordination.» Die Abfahrt hat ihn nie gereizt: «Wenn man die Streif in Kitzbühel sieht [steilste Abfahrtsstrecke Österreichs], schaltet man vor dem Start am besten das Gehirn aus. Mir ist meine Gesundheit zu wichtig», sagt er lächelnd.
Der Oberwalliser war schon immer ein begeisterter Sportler. «Mit zwölf wurde ich am selben Wochenende Walliser Vizemeister im Tennis und im Slalom», erzählt er lachend. «Ich bin ein Bewegungsmensch. Wenn ich keine Bewegung habe, geht es mir nicht gut.» Wegen seiner Grösse zweifelten jedoch viele daran, dass er es an die Spitze schaffen würde. 

Ramon Zenhaeusern
Ramon Zenhaeusern jubelt

 

«Nur zwei Menschen glaubten an mich: mein Vater Peter und Didier Plaschy. Als ich 16 Jahre alt war, sagte Didier zu mir: ‹In zehn Jahren wirst du einen Weltcup gewinnen.› ‹Red du nur›, war meine ironische Antwort. Aber er lag nur wenige Monate daneben.»

Erfolg als Puzzle

Neben seinen natürlichen Eigenschaften als Gleiter gelang es ihm dank der Zusammenarbeit mit Plaschy, seine Schwächen auszumerzen. «Um das Gleichgewicht auf den Ski zu verbessern, lief Ramon Schlittschuh, surfte und machte Rollsport. Wir trainierten viel auf steilen Pisten, wo er Mühe hatte. Grundsätzlich brauchte er einfach Zeit», erzählt Zenhäuserns Coach. Patrice Morisod macht aus seiner Bewunderung keinen Hehl: «Ramon hat wie ein Verrückter an seiner Beweglichkeit und Agilität gearbeitet.» 

Ramon Zehnhaeusern
Ramon Zehnhaeusern in Aktion


«Heute kann ich überall gut fahren», freut sich der Oberwalliser, der inzwischen auch zum Mentaltraining gefunden hat. «Ich glaubte nicht daran, aber nachdem ich 2017 an der Weltmeisterschaft in St. Moritz ausschied, habe ich es ausprobiert, und es hat mir gefallen. Mein Coach hilft mir, mich zu entspannen, mich besser auf ein Rennen zu konzentrieren. Erfolg im Sport ist wie ein Puzzle.» Bei seinem Sieg in Kranjska Gora legte der Oberwalliser einen überragenden zweiten Lauf hin und deklassierte die Besten, darunter den unbesiegbaren Marcel Hirscher, um mehr als eine Sekunde. «Ich war damals wirklich im Flow, habe meine Ski einfach laufen lassen, ohne zu überlegen. Ich habe gezeigt, wozu ich fähig bin, wenn ich 100% gebe. Diesen Lauf schaue ich auch heute noch oft an.» Und hat ihn der Erfolg verändert? Zenhäusern hat nicht das Gefühl, dass das der Fall ist. «Wenn man mit 18 so viel Erfolg hat wie Lara Gut, dann kann es schwierig sein, damit umzugehen. Aber ich bin 27.»


Daniel Yule gehörte bei den Junioren nicht zu den Besten. «In der ersten Jahren gewann ich nicht einmal die Rennen des Skiklubs La Fouly.» Dass er heute ganz vorne mitmischt, hat er seiner Beharrlichkeit und seiner mentalen Stärke zu verdanken. Je grösser der Druck, desto mehr wächst er über sich hinaus. In Adelboden führte er im ersten Lauf und legte dann vor einem frenetisch jubelnden Publikum einen traumhaften zweiten Lauf hin, obwohl der Norweger Henrik Kristoffersen die Latte sehr hoch gelegt hatte. 

Daniel Yule
Daniel Yule jubelt

 

«Ich liebe den Wettkampf, ich mag es, wenn es zählt. Schon in der Schule schrieb ich lieber Prüfungen, als dass ich dafür lernte. Ich habe nicht das Talent, das alles kinderleicht macht. Dafür habe ich meinen Charakter; ich schufte, ich bin dickköpfig», erzählte er der Zeitung Le Nouvelliste. Sein Rivale Zenhäusern bestätigt dies auf seine Weise. «Im Training ist Daniel nicht der schnellste, da bin ich der, der ihn pusht. Bei den Rennen ist das anders.»

Daniel Yule
Daniel Yule in Aktion

Bachelor in Wirtschaftswissenschaften

Ihren aussergewöhnlichen Charakter haben die beiden auch mit ihrem Bachelor in Wirtschaftswissenschaften unter Beweis gestellt, den sie trotz den hohen Anforderungen des Spitzensports erlangt haben. Zenhäusern absolvierte ein Fernstudium. Er nutzte «jede freie Minute um zu lernen, im Auto, im Bus, im Flugzeug oder wenn andere Karten spielten oder fern sahen.» Und er fügt hinzu: «Darauf bin ich wirklich stolz.» 
Seiner Meinung nach hat das Studium seiner Karriere nicht nur nicht geschadet, sondern war ihr sogar förderlich. «Es tut gut, zur Abwechslung mal an etwas anderes zu denken als ans Skifahren.» Das sieht auch Yule so, der als Sohn britischer Eltern seinen Bachelor an einer englischen Universität machte. «Nach ein paar Stunden Lernen habe ich umso mehr Freude am Skifahren. Dank der zwei unterschiedlichen Aktivitäten habe ich einen Ausgleich. Ich geniesse meine Zeit im Skisport zu 100% und bereite gleichzeitig meine Zukunft vor.» 
 

Liebe für das Wallis

Daniel Yule ist eine starke Persönlichkeit, Athletenvertreter und militanter Umweltschützer. Er nimmt kein Blatt vor den Mund. Letzten Winter übte er harsche Kritik an FIS-Präsident Gian Franco Kasper, der in einem Interview Zweifel an der Klimaerwärmung geäussert hatte. «Wenn Herr Kasper uns auch nur einmal im Training besuchen würde, dann würde auch er erkennen, wie stark unsere Gletscher zurückgehen und wie stark die Zukunft des Skisports deshalb gefährdet ist.» Yule kritisierte aber nicht nur, sondern spendete 10’000 Franken, die Hälfte des Preisgeldes von zwei Rennen, an den Verein Protect Our Winters, der sich für einen verantwortungsvollen Wintersport einsetzt.
Eine weitere Gemeinsamkeit der beiden Stars ist ihre Liebe zum heimatlichen Wallis. «Was auch immer passiert in meinem Leben, ich werde immer eine Bleibe im Val Ferret haben», erklärt Yule. Zenhäusern, der in Bürchen und auf der Moosalp Skifahren lernte, trainierte die letzten drei Sommer im nahe gelegenen Saas Fee anstatt in Südamerika wie die meisten seiner Teamkollegen. Er ist auch Botschafter dieses Skigebiets. «Saas Fee ist nur eine halbe Stunde von zu Hause entfernt, und es gibt alles dort oben, auch den besten Gletscher der Welt», meint er schmunzelnd. 
Zenhäusern und Yule, die Goldjungs des Schweizer Skisports.