Schwingen

Schwingen, Sumoringen nach Schweizer Art

Ende August pilgern 300’000 Besucherinnen und Besucher an das Eidgenössische Schwingfest in Zug. Der Freiburger Gabriel Yerly, bester Westschweizer Schwinger der letzten Jahre, weiht uns in die Geheimnisse dieser einzigartigen Sportart ein.

Das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest ist DAS Schweizer Sportereignis des Jahres. Es findet alle drei Jahre statt und dauert drei Tage. Dieses Jahr wird es in Zug ausgerichtet, wo Ende August über 300’000 Zuschauerinnen und Zuschauer erwartet werden. Das sogenannte Eidgenössische ist der einzige Wettkampf, an dem die besten Schwinger des ganzen Landes teilnehmen. Schwingen weist Ähnlichkeiten mit dem japanischen Sumoringen auf, auch wenn die Regeln unterschiedlich sind. Beides sind Nationalsportarten, die etwas Heiliges, Mystisches haben. Zwei Schwergewichte messen sich in einem unerbittlichen, aber respektvollen Zweikampf, nur haben die Schwinger mehr Muskel- und weniger Körpermasse als die Sumoringer.

Gabriel Yerli

Am letzten Schwingfest von 2016 in Estavayer verfolgten jeden Tag 52’016 Personen die Kämpfe im Sägemehlrund. Die Arena in Zug fasst mit 55’000 Personen deutlich mehr Zuschauerinnen und Zuschauer als die Tribüne der Fête des Vignerons. «Es ist immer noch die grösste mobile Arena der Welt. In Estavayer haben wir Westschweizer gezeigt, dass auch wir fähig sind, einen solchen Event auf die Beine zu stellen», sagt Gabriel Yerly. Der Freiburger Landwirt kennt sich beim Thema Schwingen aus und liebt den Sport.

Der Vizepräsident des Schwingfests in Estavayer war der beste Schwinger der jüngeren Westschweizer Geschichte. Zwischen 1983 und 1992 nahm er an vier Eidgenössischen Schwingfesten teil. 1989 wurde er in Stans im Kanton Nidwalden Zweiter. Besser als er war in der Westschweiz nur der Waadtländer Willy Lardon, der Schwingerkönig von 1937 und 1943. Das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest findet alle drei Jahre statt und wird von einem der fünf Regionalverbände im Turnus organisiert. «Diese Feste sind unsere Olympischen Spiele», erklärt Gaby Yerly, «vor allem weil der Hosenlupf nur in der Schweiz praktiziert wird.» 

Lebenslang König

Die höchste, fast schon mythische Ehre, die einem Schwinger zuteilwerden kann, ist die Krönung zum Schwingerkönig. Der berühmteste Schwingerkönig ist der St. Galler Jörg Abderhalden, der Sieger von 1998, 2004 und 2007. «Schwingerkönig bleibt man sein Leben lang. Man muss den Titel nicht abgeben. Wenn an einem Schwingfest ein Schwingerkönig auf der Tribüne sitzt, wird das immer bekanntgegeben, und er wird vom Publikum gefeiert.»  Der «Blick», die grösste Boulevardzeitung der Schweiz mit Sitz in Zürich, hat den ganzen Sommer ausführlich über das anstehende Schwingfest und dessen Favoriten berichtet. Geschwungen wird hauptsächlich in der Deutschschweiz. Im französischsprachigen Teil des Landes zählt der Sport im Kanton Freiburg am meisten Anhänger. «Mein Vater war Landwirt», erzählt Gaby Yerly. «Ich begann als Neunjähriger im Schwingklub Greyerz und war sofort angefressen.»

2 Meter und 150 Kilo

In der Innerschweiz übten die Sennen den Sport, dessen Regeln auch heute noch Gültigkeit haben, schon im 17. Jahrhundert aus. In der Sägemehlarena fassen sich die Wettkämpfer an den Schwingerhosen. Ziel ist es, den Gegner auf den Rücken zu bringen, so dass er den Boden mit beiden Schulterblättern berührt. Dafür erhält der Sieger von den drei Kampfrichtern die Note 10. Es gibt rund 50 Griffe oder «Schwünge», um den Gegner zu bezwingen. Christian Stucki, einer der Favoriten in Zug, ist 2m gross und 150kg schwer. Gaby Yerly brachte es zu seinen Glanzzeiten auf 1.85m und 108kg. Damit lag er im Durchschnitt. «Natürlich sind Masse und Kraft wichtig, aber oft macht die Geschwindigkeit den entscheidenden Unterschied. Ich war einer der Schnellsten.»

Heiliges Fairplay

Das Fairplay bleibt trotz der wachsenden Herausforderungen ein heiliger Grundsatz. In einem symbolträchtigen Ritual wischt der Sieger dem Verlierer das Sägemehl vom Rücken. «Das ist eine sehr bedeutsame Geste. Beim Schwingen zählen immer noch dieselben Werte», erklärt Gaby Yerly. «Es gibt zum Beispiel nie Protest gegen den Entscheid eines Kampfrichters, auch nicht bei einem offensichtlichen Fehler, wie dies in anderen Sportarten, etwa im Fussball, gang und gäbe ist.» Am letzten Schwingfest in Estavayer herrschte während drei Tagen Bruthitze, Bier und Schnaps flossen in Strömen, und doch gab es keine Zwischenfälle, keine Gewalt. «Weder in der Arena noch ausserhalb», freut sich Gaby Yerly. «Man geht nicht an ein Schwingfest, um seinen Frust loszuwerden. Es ist ein Fest für die ganze Familie. Schwingen ist ein viriler, aber respektvoller Sport.»

Schwingen

Ein Stier für den Schwingerkönig

Am Schwingfest werden auch noch andere Wettkämpfe in typisch schweizerischen Sportarten wie Hornussen und Steinstossen (mit dem legendären Unspunnenstein) ausgetragen. Untermalt von Alphornklängen vermittelt das Fest das Bild einer ländlichen Postkartenschweiz, die trotz Modernität ihren Traditionen verbunden bleibt. «Ich liebe die ganze Atmosphäre. Man kennt sich, und man misst sich oft mit Freunden. Keine Partei kann das Schwingen für sich vereinnahmen. Man braucht keine Politik zu machen, um sein Land zu lieben.»

Der Schwingerkönig erhält traditionell kein Geld, sondern einen Stier, und Werbung ist in der Arena nach wie vor verboten. Trotzdem hat sich viel geändert. Dank der zahlreichen Sponsoren beläuft sich das Budget für Zug auf über 40 Millionen Franken. Schon in Estavayer wurde mit 33 Millionen ein Rekord erzielt. Schwingerkönige sind heute Stars und sehr begehrt bei den Deutschschweizer Fernsehsendern. Amtierende Schwingerkönige dürfen Sponsoren haben und nehmen die Dienste von Beratern in Anspruch. Auf diese Weise verdienen sie in drei Jahren schätzungsweise 1,5 bis 2 Millionen Franken. 2007 wurde Jörg Abderhalden zum Schweizer des Jahres gewählt – vor Roger Federer, der immerhin drei Grand-Slam-Siege für sich verbuchen konnte. Trotz dieser Entwicklung ist der Schwingsport bis jetzt von den Auswüchsen anderer Sportarten verschont geblieben und konnte die dem Publikum heiligen Werte bewahren.

Stier für den Gewinner

 

Wer sind Yerlys Favoriten für das Schwingfest in Zug vom 23. bis 25. August? «Die besten Chancen haben meiner Meinung nach der Entlebucher Joel Wicki, der Thurgauer Samuel Giger und der Bündner Armon Orlik, der bereits in Estavayer im Schlussgang war.» Das Fest wird auf jeden Fall grossartig.